Bundestagswahlen und „die Jugend“ „Wer die Wahl hat, hat die Qual“

…so sagt es jedenfalls der Volksmund. Angesichts der am 26. September anstehenden Wahlen zum 20. Deutschen Bundestag wollten wir vom Lauffeuer erneut wissen, ob etwas an dem bekannten Sprichwort dran ist. Bereits in 2017 hatten wir uns vor den damaligen Bundestagswahlen nach Berlin aufgemacht (siehe Lauffeuer 06/2017), um vor Ort die jugend- und familienpolitischen Sprecher:innen der im Bundestag vertretenen Parteien zu interviewen und ihr ganz persönliches Wahlversprechen zu erfragen. So hatten wir wiederum gehofft, einige zentrale Aussagen der Parteivertreter*innen zu gesellschafts- und jugendpolitischen Themen sowie zur Bewertung von Jugendarbeit zu bekommen. Diesmal mussten wir uns wegen der Corona-Pandemie allerdings für einen Fragebogen entscheiden, den wir mit einer Bearbeitungsfrist von rund vier Wochen den zuständigen jugend- und familienpolitischen Sprecher*innen per Mail zugeleitet hatten. Doch der Rücklauf war total enttäuschend: Nur zwei Antwortbögen (*) haben uns aktuell erreicht. Insgesamt hatten wir uns also eine deutlich ernsthaftere Wahrnehmung und ein aktuelles Feedback zu unseren Jugendthemen und Fragen erhofft. Doch Fehlanzeige! Auch ging es uns dabei nicht um Wahlempfehlungen für die eine oder andere Partei, sondern um „Orientierungshilfen“ für eine persönliche Entscheidungsfindung unserer Leser*innen, wenn es am 26. September wieder um die „Qual der Wahl“ geht.                                                                                                                                    

Jugend zwischen Corona und Klimaschutz… klare Aussagen in den Wahlprogrammen fehlen oft?

Zu den Bundestagswahlen 2021 wird es 2,8 Millionen Erst- bzw. Jungwähler geben. Das entspricht einem Prozentsatz von rund 4,6 Prozent bei 60,4 Millionen Wahlberechtigten. Nimmt man die Altersgruppen der bis zu +30-jährigen (diese können durchaus dem jugendlichen Wählerpotential zugeordnet werden) hinzu, so kommt man auf knapp 15 Prozent der Wahlberechtigten. Es kann unterstellt werden, dass die Anliegen dieser Altersgruppen noch immer nicht angemessen in den Entscheidungsfindung des Bundestages und der Parteien Berücksichtigung finden. (Anmerkung: Hier hätte sich das lauffeuer  durch die Beantwortung unseres Fragebogens eine klare Positionierung aller Parteien zu den angesprochenen Jugendthemen gewünscht.) Die in 2019 veröffentlichte Shell-Jugendstudie, die wissenschaftlich anerkannt ist, belegt für mehr als ein Drittel der Jugend die Einschätzung, „dass sich die Politiker nicht um die Belange der Jugendlichen kümmern“. Die hier oft bestellbare „Politikverdrossenheit“ führt nach der Studie dazu, dass Parteien, Verbänden, Kirchen und etwa Konzernen eine hohe Skepsis, teilweise Misstrauen, entgegengebracht wird. Ob sich dies durch die Corona-Pandemie noch weiter negativ verändert hat, muss vermutet werden. Eindeutige sozialwissenschaftliche Untersuchungen gibt es allerdings hierzu (noch) nicht.

Unstrittig dürfte sein, dass sich seit 2017, dem Jahr der letzten Bundestagswahl, die gesellschaftspolitischen, ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen für „die Jugend“ dramatisch verändert haben. Lassen sich diese Entwicklungen in den aktuellen politischen Statements und/oder in den Programmen (siehe hierzu unsere kurze Analyse) für die anstehende Bundestagswahl 2021 wiederfinden? Wie ernst nimmt also die Politik die derzeitige, prekäre Lage der Jugend? Nicht immer werden hier die Antworten und Wahlaussagen der Parteien von den Jugendlichen selbst als zufriedenstellend empfunden! Und auch das Lauffeuer hat hierzu das erhoffte Feedback nicht erhalten!

Die aktuellen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie sind gewaltig (auch zukünftig). Psychische, physische und soziale (Folge-)Schäden bei Jugendlichen werden konkret befürchtet. Etwa im Bereich von „Schule und Aus-/Bildung“ sind schon jetzt die Defizite (zum Beispiel Rückgang bei den Ausbildungsverträgen um teilweise zehn Prozent, Leistungsversagen, Schul-/Studienabbrechen, vereitelte Lebensplanungen …) gravierend. Corona hat damit nicht nur durch das ungeliebte Home-Schooling zu Defiziten bei Jugendlichen geführt, sondern beispielsweise auch tiefe Einschnitte für die Jugendarbeit, wie für die Jugendfeuerwehren, gebracht.

Es wird deshalb in diesem Zusammenhang oft von einer „Lost Generation“ oder „Jugend ohne Zukunft“ gesprochen. Über 70 Prozent, so auch die renommierte Bertelsmann-Stiftung, haben konkrete Zukunftsängste. Hinzu kommt (als relativ neu empfundene Angst), dass die Corona-Impfquote aus pandemischer Sicht für die Altersgruppe der zwölf- bis 18-jährigen (hier wurden bislang nur etwa drei Prozent geimpft – Stand Juli 2021) angesichts einer möglichen neuen, vierten Welle (Delta-Variante) auch von den Betroffenen selbst als absolut ungenügend angesehen wird. Man kann zudem nur schwer nachvollziehen, warum „ältere Personengruppen“ offenbar besser geschützt (Stichwort: Priorisierung bei den Impfungen) wurden/werden. Befürchtet werden von Schülervertreter:innen, dass im offenbar bevorstehenden „Corona-Herbst“ ein erneuter Ausfall des Präsenzunterrichtes droht, wenn etwa Klimageräte in den Schulen noch immer fehlen, und eine eindeutige Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission für Kinder/Jugendliche weiterhin aussteht.

Aber auch der Klimawandel, der als konkrete Bedrohung gesehen wird, und mit „Fridays For Future“ (steht als Synonym für eine jugendgeprägte Umweltbewegung) hat sich zudem die „Lage der Jugend“ stark seit der letzten Bundestagswahl 2017 verändert. Das Bundesverfassungsgericht spricht kürzlich in einer Urteilsbegründung zum neuen Klimaschutzgesetz sogar vom „Recht der Jugend auf Zukunft“. Hier besteht offensichtlich auch mit Blick auf die Wahlprogramme 2021 der Parteien (und auf die künftige Umsetzung und das politische Handeln) noch einiger Optimierungsbedarf.

Es kann „kein weiter so“ bei der Jugendpolitik geben 

Die verbindliche Förderung der Jugendarbeit und der Jugendverbände braucht Nachhaltigkeit und Planungssicherheit. Verbale Wahlversprechen der Parteien helfen nicht weiter, wenn es um die Bewältigung der künftigen Herausforderungen der „Jugendfragen“ geht. Vielleicht klappt es ja in der nächsten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages (endlich) mit der der Herabsetzung des Wahlalters und mit der seit Langem geforderten Stärkung der Interessensvertretung von Jugendverbänden. Nicht nur auf die Umsetzung dieser politischen (Wahl-) Versprechen aus der Vergangenheit wird weiterhin gespannt gewartet. Dies auch, weil im neuen Bundestag voraussichtlich wieder rund die Hälfte der Volksvertreter:innen 50 Jahre und älter sein dürften – und allein schon deswegen sehen diese sicherlich nicht ihre erste Priorität bei „Jugendthemen“?

Fazit: Es kann „kein weiter so“ geben! Und deshalb geht es für viele Jugendliche um mehr als nur alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen!

Was sagen die Wahlprogramme 2021 zur Jugend?   … eine kurze Analyse ohne Anspruch auf Vollständigkeit!

Ein Blick in die Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2021 macht fast ausnahmslos deutlich, dass die Themen Jugendarbeit und/oder Jugendverbandsarbeit bei den Parteien eher eine nachgeordnete Rolle spielen. Durchweg sind alle Programme mit ihren teilweise mehr als hundert Seiten eine schwer verdauliche Lese-Kost, beschäftigen sich dabei vorrangig nicht mit „der Jugend“, sondern eher mit den ganz großen gesellschaftspolitischen Themen - wie mit Wirtschaft, Umwelt, Weltpolitik, Wohlstand oder auch Sicherheit.

Sucht man explizite Aussagen und Positionen zur Jugend, muss man schon ganz genau hinschauen beziehungsweise lesen. Die CDU/CSU, bei denen die Positionen zur Wahl „Regierungsprogramm“ genannt werden, beschäftigt sich in einer längeren Passage, die den Titel „…Deutschland als Chancen- und Familienland“ trägt, zum Beispiel mit Familien, Kindern, Gesundheit, Kindeswohl oder Digitaler

Bildung. Hier findet man auch die Aussage „Politische Bildung und Jugendarbeit fördern“. Und an anderer Stelle heißt es „Europa für Jugend erlebbar machen“, wenn es etwa um die ERASMUS-Austauschprogramme geht.

Auch bei der SPD besitzt das Thema Jugend offenbar zunächst keine herausragende Priorität im Wahlprogramm 2021 (Parteiterminus:  Zukunftsprogramm). Aber beim genaueren Lesen findet man doch einige Aussagen – wie etwa im Kapitel „Gut aufwachsen“. Hier will man sich auch weiterhin für die „Kinderrechte im Grundgesetz“ einsetzen. Etwas breiteren Raum nehmen an anderen Stellen zudem Überlegungen zur Bewältigung von Corona-Folgeschäden, durch die Jugendliche betroffen sind, ein.

Bei Bündnis 90/Die GRÜNEN ist „Alles drin“– so der Titel des Wahlprogrammes. Hier dominieren die Kernthemen der Partei wie Umwelt oder Klima. Im Kapitel «Familien und Kinder stehen im Mittelpunkt» gibt es natürlich auch „jugendbezogene“ Aussagen, die allerdings nur wenig direkten Bezug zur Jugendarbeit haben. Allerdings will man „die Jugendarbeit durch ein Verbandsklagerecht stärken“. (Anmerkung: Hierdurch könnten Mitwirkungsrechte der Jugendverbände/-organisationen verbessert werden.)

Bei der FDP ist «Bildung Zukunft» - aber Aussagen zur Jugendarbeit fehlen. Konkreter wird es bei allgemeinen „Jugendthemen“. Genannt werden beispielsweise ein „zukunftsfähiger Föderalismus“ in Bildungsangelegenheiten, die bundesweite Anerkennung von Abschlussprüfungen, Verbesserung beim BAFÖG sowie bei der dualen/beruflichen Bildung.

Auch bei DIE LINKE (Motto „Zeit zum Handeln“) ist kein direkter Hinweis zur Jugendarbeit oder Jugendverbandsarbeit im Wahlprogramm zu finden – allenfalls will man mit »infrastrukturellen Angeboten Kinder- und Jugendeinrichtungen» sowie mit einem „Teilhabegesetz“ Kinder und Jugendliche stärken. Eine (finanzielle) Grundsicherung bis zum 18 Lebensjahr wird gefordert, eine „Gute Bildung ein Leben lang“ sowie die Stärkung der „Schulsozialarbeit“.

(*) Hinweis: Unseren Fragebogen haben wir im Downloadbereich veröffentlicht – ebenso die bei uns eingegangenen Antworten von der Partei DIE LINKE und von der CDU/CSU. Vielleicht lässt sich die ein oder andere Frage stellen, wenn man vielleicht in den nächsten Wochen der heißen Phase des Wahlkampfes, etwa bei einer Jugend-/Feuerwehrveranstaltung, mit „der Politik“ ins Gespräch kommen sollte.